Chininum sulfuricum: Schach spielen mit 1000 Meilen pro Stunde

 
von Gaela Nelson
 

Ich besuchte C.M., einen 44jährigen Mann, bei ihm zuhause; wegen seines schlechten Zustands konnte er nicht zu mir kommen. Das war im September 2007. Er hatte die Diagnose Menière-Krankheit und litt unter Anfällen von extremem Drehschwindel, die ihn sehr schwächten. Er brach dann jedes Mal mit heftigem Erbrechen und Durchfall zusammen, was jeweils eineinhalb Stunden anhielt. Anfangs hatte er vier Anfälle in der Woche. Jetzt kommen die Anfälle seltener,  etwa einmal pro Woche. Er nimmt Gravol (ein Mittel gegen Reisekrankheit), wenn er ein bestimmtes Gefühl in seinem Bauch verspürt, sein „Warnzeichen“. Seit zwei Jahren hat er Tinnitus mit Klingeln und einem Geräusch wie von einer Meeresbrandung in den Ohren, mit etwa 25% Hörverlust auf dem rechten Ohr. Seine Eustachische Röhre war bereits bei einem Flug fünf Jahre zuvor kollabiert.

Mein erster Eindruck von ihm war, dass ich mich fragte, ob er gerade sehr viel Kaffee getrunken hatte - er wirkte sehr aufgeregt, sprach schnell, und offenbar arbeitete auch sein Kopf sehr schnell und produzierte viele Ideen. Er erzählte mir sofort, dass er der Chef von mehreren Unternehmen sei und dass er sehr gut Fußball spiele, dass er aber alle seine Aktivitäten und sein soziales Leben wegen seiner Erkrankung einschränken musste.

C.M.: „Es lähmt mich total. Es beeinflusst meinen Lebensstil, ich muss hier zu Hause bleiben, ich kann nirgends hingehen und nicht das tun was ich will. Es ist wegen der  Unvorhersehbarkeit. Es ist sogar schon im Theater passiert, es kann überall passieren.”
 

 

 

Schacher?ffnung

Er räumte ein, dass Stress am Arbeitsplatz wahrscheinlich einer der auslösenden Faktoren für seinen Zustand war; er behauptete aber, dass er Stress und Druck möge und brauche, und dass er gern viele Sachen gleichzeitig bzw. nebeneinander mache.

C.M.: „Mein Verstand hört nie auf zu arbeiten, ich weiß nicht, wie ich mein Gehirn stoppen soll; sogar wenn ich schlafe arbeite ich, ich verschlinge Informationen,

ich beschäftige mich mit vielen Dingen. An einem normalen Tag lese ich sehr viel; ich lese die ganze Zeitschrift Economist von vorne bis hinten, ich verschlinge die Informationen. Ich bin ein Dauer-Unternehmer. Ich mag es, die Projekte in die Wege zu leiten, weniger, sie danach am Laufen zu halten. Wie die Sachen dann funktionieren - das juckt mich nicht, ich finde das  langweilig ... banal. Wenn ich nichts lernen oder etwas Interessantes tun kann, bin ich unzufrieden.“

Ich habe als Wirtschaftsprüfer gearbeitet, das fand ich unglaublich langweilig, ich will meinen Geist schärfen. Wirtschaft ist mir viel zu theoretisch und abstrakt. Fußball ist sowohl etwas für den Körper als auch für das Gehirn, es ist wie Schach spielen mit 1000 Meilen pro Stunde; man fühlt sich intellektuell stimuliert. Ich lese Bücher zur Theorie des Fußballs und verbinde Fußball mit der Globalisierung. Es ist spontan, wie Jazz. Ich interessiere mich für Gesundheit, Wohlstand und Selbstbestimmung ... mich selbst glücklich zu machen, Dinge, die mir Freude machen. Der soziale Status kümmert mich wenig. Ich bin ein bequemer Chef, ich lasse die Leute zu Hause arbeiten. Ich mag kein autoritäre Gehabe.“

C.M. beschreibt sein Familienleben als glücklich und hat eine gute Beziehung zu seiner Familie und mit seiner Frau, die auch unabhängig und ein Überflieger ist. Die beiden haben keine Kinder.

Er hat ein starkes Verlangen nach Zucker und Schokolade, versucht aber, eine gesunde Ernährung mit wenig Salz und viel Gemüse und Früchten zu befolgen. Er mag Smoothies. Er hat Hitze und ist nachts oft unruhig. Er mag Kaffee, kann aber nur eine Tasse pro Tag trinken.

Er fühlt sich besser, wenn er sich ganz ruhig verhält, weil bereits das Bewegen des Kopfes zu einem Gefühl von Unausgeglichenheit und Schwindel führt.

Er hat wenig Ängste und Sorgen, er bezeichnet sich als „furchtlos“, aber er möchte nicht scheitern oder andere enttäuschen.

Er hatte einige Akupunkturbehandlungen erhalten, die die Häufigkeit der Anfälle etwas reduzierten, doch er brach die Behandlung ab. Auch die Empfehlung, Meditation oder Yoga zu machen, lehnte er ab; er sagte: „Das ist stinklangweilig!“

Rubriken (MacRepertory)


Geist und Gemüt, Aufregung, wie nach Kaffee
Geist und Gemüt, Ideen, vielfältig
Geist und Gemüt, theoretisieren
Schwindel, Drehschwindel, als ob er sich im Kreis drehen würde
Schwindel, mit Erbrechen
Schwindel, Morbus Menière
Schwindel mit Sturzneigung
Hören, von Geräuschen, mit Schwindel
Allgemein, Essen und Trinken, Verlangen nach Zucker und Süßigkeiten,
Die Mittel, die ich verglichen habe, sind: Chinin sulfuricum, Sulfur, China, Crotalus horridus, Phosphor, Theridion und Cocculus.

Ich schaute bei China Officinalis nach, das viele seiner Symptome abdeckt. C.M. scheint gut auf Sankarans Beschreibung des Malaria-Miasmas und zur Empfindung von China zu passen: „Sein Geist ist voll von vielen Plänen, aber er fühlt sich gefangen in einer Lage, in der er keinen davon ausführen kann, und außerdem leidet er manchmal unter Anfällen.“ (Einblicke ins Pflanzenreich, Band II, S. 477).

Doch zeigt er auch Eigenschaften, die eher zu Sulfur passen, z.B. seine Freude an abstrakten Theorien, und wie er Themen wie Fußball und Globalisierung verbindet; hinzu kommen eine gewisse Angeberei, seine Abneigung gegen Autorität und seine Selbstfokussierung.
 
Zug Chininum sulfuricum passt am besten zu meinem Gesamteindruck von ihm. Ich konnte die Empfindungen der Rubiaceae-Familie, aber auch viele Sulfur-Eigenschaften bei ihm erkennen. Die Salzkombination - China mit Sulfur – passt noch besser zur Menière-Krankheit als die einzelnen Elemente. Die zugehörige Empfindung charakterisiert er mit

den Worten: „Schachspielen mit 1000 Meilen pro Stunde“; das erfasst genau die Qualitäten von Chininum sulfuricum!

Verordnung: Chininum sulfuricum C 200, eine Einzelgabe.

Follow-ups

Einen Monat später berichtet er, er fühle sich etwas besser. Es sind keine schweren Attacken mehr aufgetreten, und er hat seit der Einnahme des Mittels kein Gravol mehr gebraucht. Er hatte einen Stresstest gemacht und war etwas in Sorge um die Gesundheit seines Herzens. Ab und zu hatte er Schmerzen in der linken Schulter. Manchmal hatte er leichte Gleichgewichtsstörungen, was sich besonders beim Gehen im Dunkeln bemerkbar machte.

Zwei Monate später kam er in meine Praxis zum Follow-up. Eine Flugreise nach Italien, wo er seine Familie besucht hatte, hatte er ohne jegliche Probleme hinter sich gebracht. Er spielt wieder Fußball und geht aus. Er sagt, dass es ihm sehr viel besser geht; nur ab und zu hat er noch mit „Gleichgewichtsstörungen“ zu tun. Sein Schlaf ist besser geworden. Das unangenehme Gefühl im Bauch ist verschwunden - das Gefühl, das ein Warnsignal für ihn gewesen war. Wenn er dann nicht Gravol genommen hätte, wäre es bald zum Erbrechen gekommen. Jetzt hat er weder Magensymptome, noch braucht er Gravol. Er befasst sich jetzt damit herauszufinden, welches Projekt ihm am meisten Stress verursacht. Er ist sehr zufrieden mit seinen Fortschritten.

Ein Jahr später hatten wir ein kurzes Telefongespräch. Er sagte, dass es ihm gut gehe und keinen Rückfall der Symptome gehabt habe.

Im Jahr 2011 rief ich ihn an, um ihn um Erlaubnis zu bitten, diesem Artikel veröffentlichen zu dürfen. Er sagte: „Natürlich! Es geht mir nach wie vor hervorragend!“

Er brauchte nie eine Wiederholungsgabe seines Mittels.


Dieser Artikel wurde auf www.interhomeopathy.org publiziert.

 

Fotos: Shutterstock
Roter Zug rauscht vorbei;
Schacheröffnung;
Kategorien: Fälle
Stichwort: Morbus Menière, heftiges Erbrechen und Durchfall, Geschwindigkeit: 1.000 mph
Mittel: Chininum sulfuricum

Chininum sulfuricum: Schach spielen mit 1000 Meilen pro Stunde

 
von Gaela Nelson
 

Ich besuchte C.M., einen 44jährigen Mann, bei ihm zuhause; wegen seines schlechten Zustands konnte er nicht zu mir kommen. Das war im September 2007. Er hatte die Diagnose Menière-Krankheit und litt unter Anfällen von extremem Drehschwindel, die ihn sehr schwächten. Er brach dann jedes Mal mit heftigem Erbrechen und Durchfall zusammen, was jeweils eineinhalb Stunden anhielt. Anfangs hatte er vier Anfälle in der Woche. Jetzt kommen die Anfälle seltener,  etwa einmal pro Woche. Er nimmt Gravol (ein Mittel gegen Reisekrankheit), wenn er ein bestimmtes Gefühl in seinem Bauch verspürt, sein „Warnzeichen“. Seit zwei Jahren hat er Tinnitus mit Klingeln und einem Geräusch wie von einer Meeresbrandung in den Ohren, mit etwa 25% Hörverlust auf dem rechten Ohr. Seine Eustachische Röhre war bereits bei einem Flug fünf Jahre zuvor kollabiert.

Mein erster Eindruck von ihm war, dass ich mich fragte, ob er gerade sehr viel Kaffee getrunken hatte - er wirkte sehr aufgeregt, sprach schnell, und offenbar arbeitete auch sein Kopf sehr schnell und produzierte viele Ideen. Er erzählte mir sofort, dass er der Chef von mehreren Unternehmen sei und dass er sehr gut Fußball spiele, dass er aber alle seine Aktivitäten und sein soziales Leben wegen seiner Erkrankung einschränken musste.

C.M.: „Es lähmt mich total. Es beeinflusst meinen Lebensstil, ich muss hier zu Hause bleiben, ich kann nirgends hingehen und nicht das tun was ich will. Es ist wegen der  Unvorhersehbarkeit. Es ist sogar schon im Theater passiert, es kann überall passieren.”
 

 

 

Schacher?ffnung

Er räumte ein, dass Stress am Arbeitsplatz wahrscheinlich einer der auslösenden Faktoren für seinen Zustand war; er behauptete aber, dass er Stress und Druck möge und brauche, und dass er gern viele Sachen gleichzeitig bzw. nebeneinander mache.

C.M.: „Mein Verstand hört nie auf zu arbeiten, ich weiß nicht, wie ich mein Gehirn stoppen soll; sogar wenn ich schlafe arbeite ich, ich verschlinge Informationen,

ich beschäftige mich mit vielen Dingen. An einem normalen Tag lese ich sehr viel; ich lese die ganze Zeitschrift Economist von vorne bis hinten, ich verschlinge die Informationen. Ich bin ein Dauer-Unternehmer. Ich mag es, die Projekte in die Wege zu leiten, weniger, sie danach am Laufen zu halten. Wie die Sachen dann funktionieren - das juckt mich nicht, ich finde das  langweilig ... banal. Wenn ich nichts lernen oder etwas Interessantes tun kann, bin ich unzufrieden.“

Ich habe als Wirtschaftsprüfer gearbeitet, das fand ich unglaublich langweilig, ich will meinen Geist schärfen. Wirtschaft ist mir viel zu theoretisch und abstrakt. Fußball ist sowohl etwas für den Körper als auch für das Gehirn, es ist wie Schach spielen mit 1000 Meilen pro Stunde; man fühlt sich intellektuell stimuliert. Ich lese Bücher zur Theorie des Fußballs und verbinde Fußball mit der Globalisierung. Es ist spontan, wie Jazz. Ich interessiere mich für Gesundheit, Wohlstand und Selbstbestimmung ... mich selbst glücklich zu machen, Dinge, die mir Freude machen. Der soziale Status kümmert mich wenig. Ich bin ein bequemer Chef, ich lasse die Leute zu Hause arbeiten. Ich mag kein autoritäre Gehabe.“

C.M. beschreibt sein Familienleben als glücklich und hat eine gute Beziehung zu seiner Familie und mit seiner Frau, die auch unabhängig und ein Überflieger ist. Die beiden haben keine Kinder.

Er hat ein starkes Verlangen nach Zucker und Schokolade, versucht aber, eine gesunde Ernährung mit wenig Salz und viel Gemüse und Früchten zu befolgen. Er mag Smoothies. Er hat Hitze und ist nachts oft unruhig. Er mag Kaffee, kann aber nur eine Tasse pro Tag trinken.

Er fühlt sich besser, wenn er sich ganz ruhig verhält, weil bereits das Bewegen des Kopfes zu einem Gefühl von Unausgeglichenheit und Schwindel führt.

Er hat wenig Ängste und Sorgen, er bezeichnet sich als „furchtlos“, aber er möchte nicht scheitern oder andere enttäuschen.

Er hatte einige Akupunkturbehandlungen erhalten, die die Häufigkeit der Anfälle etwas reduzierten, doch er brach die Behandlung ab. Auch die Empfehlung, Meditation oder Yoga zu machen, lehnte er ab; er sagte: „Das ist stinklangweilig!“

Rubriken (MacRepertory)


Geist und Gemüt, Aufregung, wie nach Kaffee
Geist und Gemüt, Ideen, vielfältig
Geist und Gemüt, theoretisieren
Schwindel, Drehschwindel, als ob er sich im Kreis drehen würde
Schwindel, mit Erbrechen
Schwindel, Morbus Menière
Schwindel mit Sturzneigung
Hören, von Geräuschen, mit Schwindel
Allgemein, Essen und Trinken, Verlangen nach Zucker und Süßigkeiten,
Die Mittel, die ich verglichen habe, sind: Chinin sulfuricum, Sulfur, China, Crotalus horridus, Phosphor, Theridion und Cocculus.

Ich schaute bei China Officinalis nach, das viele seiner Symptome abdeckt. C.M. scheint gut auf Sankarans Beschreibung des Malaria-Miasmas und zur Empfindung von China zu passen: „Sein Geist ist voll von vielen Plänen, aber er fühlt sich gefangen in einer Lage, in der er keinen davon ausführen kann, und außerdem leidet er manchmal unter Anfällen.“ (Einblicke ins Pflanzenreich, Band II, S. 477).

Doch zeigt er auch Eigenschaften, die eher zu Sulfur passen, z.B. seine Freude an abstrakten Theorien, und wie er Themen wie Fußball und Globalisierung verbindet; hinzu kommen eine gewisse Angeberei, seine Abneigung gegen Autorität und seine Selbstfokussierung.
 
Zug Chininum sulfuricum passt am besten zu meinem Gesamteindruck von ihm. Ich konnte die Empfindungen der Rubiaceae-Familie, aber auch viele Sulfur-Eigenschaften bei ihm erkennen. Die Salzkombination - China mit Sulfur – passt noch besser zur Menière-Krankheit als die einzelnen Elemente. Die zugehörige Empfindung charakterisiert er mit

den Worten: „Schachspielen mit 1000 Meilen pro Stunde“; das erfasst genau die Qualitäten von Chininum sulfuricum!

Verordnung: Chininum sulfuricum C 200, eine Einzelgabe.

Follow-ups

Einen Monat später berichtet er, er fühle sich etwas besser. Es sind keine schweren Attacken mehr aufgetreten, und er hat seit der Einnahme des Mittels kein Gravol mehr gebraucht. Er hatte einen Stresstest gemacht und war etwas in Sorge um die Gesundheit seines Herzens. Ab und zu hatte er Schmerzen in der linken Schulter. Manchmal hatte er leichte Gleichgewichtsstörungen, was sich besonders beim Gehen im Dunkeln bemerkbar machte.

Zwei Monate später kam er in meine Praxis zum Follow-up. Eine Flugreise nach Italien, wo er seine Familie besucht hatte, hatte er ohne jegliche Probleme hinter sich gebracht. Er spielt wieder Fußball und geht aus. Er sagt, dass es ihm sehr viel besser geht; nur ab und zu hat er noch mit „Gleichgewichtsstörungen“ zu tun. Sein Schlaf ist besser geworden. Das unangenehme Gefühl im Bauch ist verschwunden - das Gefühl, das ein Warnsignal für ihn gewesen war. Wenn er dann nicht Gravol genommen hätte, wäre es bald zum Erbrechen gekommen. Jetzt hat er weder Magensymptome, noch braucht er Gravol. Er befasst sich jetzt damit herauszufinden, welches Projekt ihm am meisten Stress verursacht. Er ist sehr zufrieden mit seinen Fortschritten.

Ein Jahr später hatten wir ein kurzes Telefongespräch. Er sagte, dass es ihm gut gehe und keinen Rückfall der Symptome gehabt habe.

Im Jahr 2011 rief ich ihn an, um ihn um Erlaubnis zu bitten, diesem Artikel veröffentlichen zu dürfen. Er sagte: „Natürlich! Es geht mir nach wie vor hervorragend!“

Er brauchte nie eine Wiederholungsgabe seines Mittels.


Dieser Artikel wurde auf www.interhomeopathy.org publiziert.

 

Fotos: Shutterstock
Roter Zug rauscht vorbei;
Schacheröffnung;
Kategorien: Fälle
Stichwort: Morbus Menière, heftiges Erbrechen und Durchfall, Geschwindigkeit: 1.000 mph
Mittel: Chininum sulfuricum





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